Studie: Deutschland 2020 – Die Diskussion geht weiter

Ein Gastbeitrag von Horst Hilgenpahl. Nach der Kritik „Studie: Deutschland 2020 – Die demografische Zukunft der Nation“ zu der Stellungnahme des Gesantverband des deutschen Steinkohlebergbaus (www.gvst.de), geht die Diskussion mit einem Antwortschreiben an den GVSt weiter.

Auch ich habe Ihr Antwortschreiben v. 12.8.04 auf meinen Brief v. 8.8.04 erhalten und zur Kenntnis genommen. Da bisherige kritische Fragen von Bürgern und auch meine eigenen an die Deutsche Steinkohle AG selten, meistens gar nicht beantwortet wurden, und das schon gar nicht, wenn es sich dabei um kritische Nachfragen handelte, habe ich wohl auch von Ihnen nicht erwarten können, dass dieses in Ihrem Antwortschreiben vom GVSt anders sein würde. Dass Sie, wie sie bemerken, einige grundsätzliche Antworten dennoch gerne gegeben haben, veranlasst mich zunächst, den Punkt „Lobbygruppe GVSt und UVSt“ noch einmal etwas ausführlicher darzustellen.

Seit Jahrzehnten wird mit Steuermitteln (aus Steinkohlesubventionen) ein Gesamtverband des Deutschen Steinkohlebergbaus (GVSt) unterhalten, obwohl es nur noch ein einziges privatwirtschaftliches Steinkohleunternehmen, die Ruhrkohle AG (RAG) gibt. Die personelle Zusammensetzung des Vorstandes und die Geschäftsführung des GVSt sind von der RAG abhängig und weisungsgebunden. Jede abweichende Meinungsbildung ist praktisch ausgeschlossen. Der Verband betätigt sich nach eigenen Angaben an der „politischen Willens- und Entscheidungsbildung in Deutschland“. Er betreibt eine reine Lobbyarbeit, die sich zielgerichtet auf den Erhalt von Subventionen ausrichtet. Gleiches gilt auch für den Unternehmensverband Steinkohlenbergbau (UVSt), der als Arbeitgeberverband die Interessen des einzigen subventionierten Steinkohle fördernden Unternehmens RAG AG wahrnimmt. Das einzige Mitgliedsunternehmen RAG könnte diese Aufgaben problemlos und richtigerweise selbst wahrnehmen. So aber deckt es zusätzlich alle Kosten der genannten Verbände aus den erhaltenen Kohlesubventionen, also zu 70 % aus Steuermitteln. Hier liegt somit mindestens eine Vergeudung von Steuermitteln vor.

Die Mitglieder der Bürgerinitiative Bergbaubetroffener am Niederrhein BIB, und Gleiches gilt auch für andere Bergbaubetroffene Bürgerinitiativen, bezahlen Aufwendungen und Kosten für notwendige Gerichts- und Gutachterverfahren aus bereits versteuertem Einkommen. Sie erhalten im Gegensatz zur Deutschen Steinkohle und seinen sie vertretenden Verbänden keine Subventiosgelder. Ihre Beiträge und Spenden sind – weil es sich um eine gemeinnützige, gesetzlich anerkannte Vereinigung handelt – lediglich steuerlich absetzbar. Ihr geschmackloser Versuch, diese Menschen unter Bezugnahme auf ein Zeitungszitat als „Lobbyisten des Vorgartens“ zu bezeichnen, ist nicht nur zynisch, sondern trägt auch in sich eine verachtende Komponente, ganz besonders in Anbetracht der Schäden und Lebensrisiken, die der Bergbau ihnen durch versatzlosen Bruchbau an ihrer Infrastruktur, Wohneigentum, Trinkwasser und Überflutungsrisiko zumutet.

Wenn Sie weiterhin meine Veröffentlichungen gegen die Steuersubventionierung der Deutschen Steinkohle als einen persönlichen „Kreuzzug“ bezeichnen, so sollten Sie vor einer so unzutreffenden Wortführung entweder nachdenken oder im Brockhaus nachlesen. Ich ordne das als billige Polemik ein.

Die Angaben auf „Ihren“ Internetseiten und die Aussagen von Prognos und RWI sind mir bekannt. Wenn Sie meine gestellten Fragen nicht heraussuchen und/oder auswerten wollen, weil Sie in mir einen „erklärten Bergbaugegner“ erkennen wollen,, zeigen Sie deutlich einen fehlenden Willen zur Klärung von Sachverhalten. Wenn Sie z. B. auch die vom Berlin-Institut genannte Subventionssumme von 100 Milliarden Euro seit 1980 nur als „jedenfalls weit überhöht“ bezeichnen und auch bei dieser Angabe eine exakte Antwort schuldig bleiben, ist das nicht gerade glaubwürdig.

Dass die Knappschaft-Zuschüsse nicht in den Steinkohlesubventionen enthalten sind, sondern schon Jahrzehnte für unrentable, nicht wertschöpfende Arbeitsplätze aus dem Steuerhaushalt gezahlt werden müssen, bezweifelt niemand mehr.

Ob Ihre Kritik an der Studie „Deutschland 2020“ richtig ist, wird wohl noch durch das Berlin-Institut geklärt werden. Nicht nur mich erstaunt ihre pauschale Kritik über die Steinkohle-bezogenen Aussagen zu der Studie. Hierzu werde ich am Schluß meines Briefes noch ergänzend Stellung nehmen.

Zu Ihren Hinweisen bzgl. der „Wahrnehmungsdefizite“, die Sie festzustellen glauben, nehme ich in folgenden 7 Punkten kurz Stellung:

1. Würden die Steinkohlensubventionen gestrichen, wäre auch Ihr persönlicher Wirkungsbereich, also der GVSt, mangels fehlender Finanzmittel aufzulösen. Sie wären dann jfür die RAG überflüssig geworden.

2. Dass die Kohlebeihilfen bis 2012 in dem von Ihnen angeführten Umfang zurückgeführt werden, ist bis jetzt Beschlusslage. Auch Ihnen ist bekannt, dass hier ein „Kungelgeschäft“ zwischen Kanzler Schröder und der EU stattfand. Kurz gesagt: „Steinkohlesubventionen für den Bergbau zum Nachteil deutscher Spediteure gegen Dieselsubventionen für einige EU-Länder“. Das Ergebnis waren weitere 17 Milliarden Euro aus dem deutschen Steuertopf bis 2012.

3. Die von Ihnen nicht verstandene Jahreszahl 1980 wurde sowohl in der Berlin-Studie als auch in Ihrem eigenen Schreiben genannt. Die Schrumpfung des Steinkohlenbergbaus begann selbstverständlich bereits vor der Gründung der Ruhrkohle AG 1969. Heute ist inländische Kraftwerkskohle an der Stromerzeugung nur noch mit weniger als 10 % beteiligt, die mit der über 100 Euro/t billigeren Importkohle problemlos und preiswerter erreicht werden könnte. Die bereits seit fast 50 Jahren als notwendig erklärte Versorgungssicherheit durch heimische Kraftwerkskohle ist immer noch ein Märchen, das zu Ihrem Wunsch nach weiterem Subventionsfluss passt. Einen bedrohlichen Engpass bei Kraftwerkskohle-Importen hat es bisher, abgesehen von relativ geringen Preisschwankungen niemals gegeben. Die Deutsche Steinkohle und der GVSt betreibt hier seit Jahren krampfhafte Selbsterhaltung auf Kosten der Steuerzahler – eine ebenso falsche wie zu teure Ideologie.

4. Wie lange die Koksknappheit aufgrund fehlender Kokereien durch den augenblicklich hohen Bedarf Chinas und Indiens anhält, kann z. Zt. noch niemand prognostizieren. Ob dieses in Zukunft eine erhöhte Kokskohlenförderung bewirken wird, ist fraglich, denn Kokereien fehlen.

5. Der Steinkohle-Bergbau Polens wird vor einem endgültigen Beitritt in die Europäische Union als ein großes Problem im eigenen Land angesehen. Seine notwendige Rückführung ist dort schon ähnlich problematisch, wie es der deutsche Bergbau über Jahre bis heute war und noch ist.

6. Dass regenerative Energien nur zu einem kleinen Teil zur Stromversorgung beitragen und großenteils ebenfalls hochsubventioniert werden, ist bekannt und bezweifelt niemand. Kostengünstigere Wege mit geringeren Umweltschäden werden sich für derartige Energieträger bei intensiver Forschung noch herausstellen. GuD-Kraftwerke bieten heute bereits eine kosten- und umweltgünstigere Alternative mit höherem Wirkungsgrad gegenüber Steinkohlenverstromung. Ob bei einem möglichen ökologischen und ökonomischen Engpass die Laufzeit von Atomkraftwerken verlängert werden muss, ist eine weitere Überlegung für eine Versorgung im Grundlastbereich.

7. Der Importpreis für Kraftwerkskohle wurde von der GVSt für 2003 mit 40 Euro / t SKE bzw. 49 Euro / t SKE für das erste Quartal 2004 BAFA angegeben. Die von Ihnen als aktuell bezifferten > 75 Euro / t SKE für Kraftwerkssteinkohle wären auch nach wie vor abenteuerlich weit von einer Wertschöpfung des heimischen Erzeugerpreis entfernt. Außerdem ist dieser genannte „aktuelle Preis“ nach meinen Informationen zu hoch.

Wenn Sie eine deutliche Kritik meinerseits bemängeln und mehr Zurückhaltung wollen, so wäre eine realistische Angabe von Daten und Zahlen Ihrerseits, um die ich Sie bat, der bessere Weg, um Zusammenhänge zu erfahren und darzulegen. Da die Deutsche Steinkohle aber sowohl in Fragestunden des NRW-Landtags sowie in Erörterungsverfahren aber auch bei gewöhnlichen Fragen in Briefen Offenheit vermissen lässt, ist bei vielen Bürgern ein anfänglicher Verdacht, gezielte Ungenauigkeiten serviert zu bekommen, zur Gewissheit geworden.

Abschließend meine Feststellungen zur Steinkohle, der Staatsverschuldung und der Verdummung der Gesellschaft:

Ohne die in der Vergangenheit in defizitären Haushaltsjahren gewährten Steinkohlesubventionen wäre die gegenwärtige Staatsverschuldung um mindestens 150 Milliarden Euro geringer. Wollte man die tatsächlichen Aufwendungen des Staates für den Steinkohlenbergbau darstellen, dann müsste man den auf anteilige Staatsverschuldung entfallenen Zinsaufwand von mindestens 6 Milliarden Euro p.a. den laufenden Subventionen von gegenwärtigen ca. 3,2 Milliarden Euro noch hinzurechnen.

Das Weiterbetreiben des Steinkohlenbergbaus hatte auch negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf die Strukturpolitik. In Zeiten geringer Arbeitslosigkeit hat der am Tropf des Staates hängende Steinkohlenbergbau zahlreiche Arbeitskräfte mit dem Angebot hoher Löhne und frühzeitiger Pensionierung auf Staatskosten (mit 50 Jahren) angeworben, obwohl absehbar war, dass die Förderung zurückgenommen und damit die Zahl der Arbeitnehmer verringert werden musste. Der Bergbau hat mit Hilfe der Bergbau-Politiker im Ruhrgebiet die Ansiedlung neuer Industrien verhindert, so dass die ehemaligen Bergbau-Städte heute die höchsten Arbeitslosen-Quoten haben. Bei rechtzeitiger realistischer Einschätzung der Situation im Steinkohlenbergbau hätten beachtliche Kosten eingespart werden können und der Schaden wäre für den Staat, insbesondere für das Land NRW, wesentlich geringer gewesen. Ursache für die vermeidbaren Kosten war die Verdummung der Gesellschaft mit dem Begriff „Versorgungssicherheit“, der nur noch von volkswirtschaftlichen Analphabeten, zu denen leider auch hochrangige Politiker und aus NRW gehören, ernst genommen wird, vielleicht auch aus Gründen der Pfründe-Erhaltung.

Mit höflichem Gruß

Horst Hilgenpahl