Gesundheit: Ein Schelm, wer Methode vermutet!

Stellungnahme des Landesverbandes zur Begutachtung der gesundheitlichen Belastung durch bergbaubedingte Beben

Vorauszuschicken ist, dass die Untersuchung der gesundheitlichen Belastung durch die bergbaubedingte Erdbeben einer Forderung des Landesverbandes entspricht. Bereits im Jahr 2001 verlangten die Bergbaubetroffenen bei den Besprechungen zu den gutachterlichen Stellungnahmen von Prof. Sroka und H. Klingmüller eine entsprechende Untersuchung. Damals wurde ein Mitarbeiter des Staatl. Gesundheitsamts beauftragt zu erkunden, ob es bereits Erkenntnisse zu erdbebenbedingten Gesundheitsschäden gäbe. Dieser recherchierte im Internet und wurde nicht fündig. Damit war für das damalige Gesundheitsministerium die Angelegenheit beendet. Für eine eigene Begutachtung sei kein Geld vorhanden.

Der Landesverband war deshalb überrascht und zunächst skeptisch, als im Spätherbst letzten Jahres – über vier Jahre später – ein Institut der Universität Stuttgart mit einer Begutachtung beauftragt wurde. Mit den vorhin erwähnten Gutachten (Sroka, Klingmüller) hatten wir Bergbaubetroffene vorwiegend negative Erfahrungen gemacht. Prof. Sroka besserte sein erstes Gutachten inzwischen so oft nach, bis seine ursprüngliche Forderung, wenn alle Maßnahmen zur Bebenminderung nicht greifen, müsse der Bergbau eingestellt werden, nicht mehr vorkam. Herrn Klingmüllers Papier enthält so viele technische und wissenschaftliche Mängel und Falschaussagen, dass man nicht von einem Gutachten sprechen kann. Auf Grund dieser Erfahrungen begegneten Bergbaubetroffene den beiden Wissenschaftlern er Uni Stuttgart zunächst mit Misstrauen. Diese wurden jedoch im Lauf der Gespräche ausgeräumt.

Das auf einer Telefonumfrage basierende Gutachten ergab wichtige Erkenntnisse und beinhaltete auch einen Forderungskatalog für das weitere Vorgehen. Bei der Präsentation des Gutachtens im Febr. 2006 deutete Minister Hecken allerdings bereits an, dass die Ergebnisse vor Gericht nicht verwertbar seien, da sie auf der subjektiven Einschätzung der Bergbaubetroffenen basierten. Aber genau das war ja der Auftrag für das Gutachten! Man brauche – so Minister Hecken – jetzt objektive medizinische Daten. Eine Forderung von Fr. Dr. Grobe, neben der medizinischen auch die psychische Belastung zu objektivieren, wurde vom Gesundheitsministerium offensichtlich überhaupt noch nicht ins Auge gefasst.

Im April wurden Bergbaubetroffene von Minister Hecken zur Vorstellung eines von seinem Hause ins Auge gefassten medizinischen Gutachtens eingeladen. Er stellte dabei Zielsetzung und das geplante Konzept vor. Zeitnah nach einem Beben sollen schwerpunktmäßig in den beiden Caritaskliniken in Lebach und Dillingen Untersuchungen zur Gewinnung objektiver Werte durchgeführt werden. Auch die Hausärzte können diese Daten erheben, soweit es ihre Dienstbereitschaft zulässt. Diese Akutdaten sollen mit einem eine Seite umfassenden Bogen erfasst werden. Mit einem weiteren 25-seitigen Fragebogen sollen Basisdaten erfasst werden. Ein Vergleich von Basis- und Akutdaten soll objektive Hinweise auf die gesundheitliche Beeinträchtigung der Bergbaubetroffenen durch Erdbeben ergeben. Nach einem Zeitraum von drei bis vier Monaten ist eine Auswertung der Ergebnisse geplant. Anonymität wurde zugesichert. 150 niedergelassene Ärzte im weiteren Erdbebengebiet erhalten die Fragebögen.

Bei dem Gespräch mit Minister Hecken vermittelte dieser zu Beginn, dass dieser Austausch dazu diente, von den Bergbaubetroffenen Hinweise für Gestaltung und Durchführung der Untersuchung zu erhalten. Die Fragebögen zeigte er den Bergbaubetroffenen nicht. Ebenso wenig erläuterte er die Inhalte. Er sagte zu, dass diese Untersuchungen nach einem Beben vom Gesundheitsministerium bezahlt würden, so dass den Betroffenen keine Kosten entstünden. Er erwähnte nicht, dass die Praxisgebühr von 10,00 € doch erhoben wird.

Von den Anwesenden wurde vor allem bei einem solchen Vorgehen die Zeitnähe bei der Erfassung der Akutdaten kritisch hinterfragt: „Wie sollen meine Messdaten zeitnah erfasst werden, wenn ich in meinem Erregungszustand selbst mit dem Auto oder mit einem Taxi in die Klinik fahren soll?“ „Wie sollen meine Messdaten zeitnah erfasst werden, wenn außer mir sich noch 50 oder 100 andere Betroffene untersuchen lassen wollen?“ „Wie sollen meine Messdaten zeitnah erfasst werden, wenn ich in die Praxis meines Hausarztes komme, und vor mir 20 andere Patienten einen Termin haben?“ Solche Fragen blieben unbeantwortet oder wurden bagatellisiert.

Der Hinweis der Betroffenen, nur eine orts- und zeitnahe Akutuntersuchung liefere valide Daten, wurde als unrealistisch und nicht finanzierbar abgetan. Fragen nach Repräsentativität und Größe der Erhebungsstichprobe und zum Datenschutz wurden nicht beantwortet. Auch zum auswertenden Personenkreis wurden nur vage Angaben gemacht.

Am Werktag nach dieser Besprechung wurden 50.000 Fragebögen durch Kuriere an die Praxen ausgeliefert. Die Ärzte wurden von dieser Aktion überrascht. Sie bekamen z.B. keinerlei Hinweise zum finanziellen Aspekt der Fragebogen-Aktion. Über die Ärzte erhielten auch Betroffene und wir vom Landesverband Kenntnis von Inhalt und Gestaltung der Fragebögen.

Zunächst einige Anmerkungen zu dem vom Arzt auszufüllenden Befundbogen:

Erfasst werden: Demoskopische Daten, subjektive Beschwerden, Messwerte von Blutdruck und Pulsfrequenz, eingeleitete Maßnahmen (EKG, stationäre Aufnahme), Daten eines Kontrolltermins. Unklar ist, ob dieser Kontrolltermin schon stattgefunden hat oder erst durchzuführen ist. Es ist auszuschließen, dass mit dem Fragebogen in dieser Form eine objektive Erfassung der gesundheitlichen Auswirkungen von bergbaubedingten Beben möglich ist, da entscheidende Parameter fehlen. Nicht erfasst werden: Datum und Uhrzeit des Bebens, Uhrzeit des Eintreffens des Patienten in der Klinik oder Praxis, Uhrzeit der Befunderhebung, Datum und Uhrzeit der Kontrolluntersuchung. Mit einem solchen Befundbogen können keine objektiven Ergebnisse zustande kommen, die vor Gericht Bestand haben.

Und nun zum 25-seitigen Fragebogen:

Erfasst werden: Demoskopische Daten, subjektive Beschwerden nach Beben, welche von 50 Erkrankungen (auch psychische Erkrankungen, Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit) und welche von 10 Infektionen man schon jemals hatte, welche von 34 Medikamentenarten (z.B. auch Potenzmittel) man wie oft einnimmt. Erfasst werden außerdem: Verletzungen, Vergiftungen, Schmerzen in den letzten 12 Monaten, subjektive Beurteilung des allgemeinen Gesundheitszustands (z.B. wie oft man in den vergangenen 4 Wochen „voller Schwung, sehr nervös, niedergeschlagen, ruhig und gelassen, voller Energie, erschöpft, glücklich oder müde“ war). Dann: bei welchen von 14 Fachärzten man in den letzten 12 Monaten wie oft und weshalb war. Weiter schließen sich an Fragen zu Kurbehandlungen, Rauchen, körperlichen Aktivitäten, Lärmbelästigung, Zufriedenheit mit Partnerschaft und sozialen Kontakten, Schulausbildung und beruflicher Tätigkeit.

Grundlage dieses Fragebogens ist ein Gesundheitssurvey, konzipiert vom Robert-Koch-Institut (RKI), mit dem u. a. 1997/98 der Gesundheitszustand der Bevölkerung in Deutschland erfasst werden sollte. Es handelte sich um eine repräsentative Umfrage bei über 7.000 Personen im Alter zwischen 19 und 79 Jahren.

Minister Hecken hat für die geplante Untersuchung den Fragebogen des RKI unwesentlich gekürzt (Z. B. wurden Fragen zur Inanspruchnahme von Früherkennungsuntersuchungen und Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und zum Kaffeekonsum weggelassen.). Die Frage: „Fühlen Sie sich aktuell durch bergbaubedingte Erschütterungen beeinträchtigt?“ ist Eigenleistung des Ministeriums.

Grundsätzlich lässt sich zu dem Fragebogen sagen: Es handelt sich weitgehend um die Erfassung subjektiver Daten. Objektive Daten zu Vorerkrankungen sind nur dann gegeben, wenn ein Mediziner diese bestätigen kann, was völlig illusorisch ist. Wenn ein Betroffener diesen Fragbogen allein ausfüllt, sie nicht überprüfbar, welche Aspekte er absichtlich oder aus Unkenntnis weglässt oder hinzufügt.

Die ersten – allerdings nicht repräsentativen – Umfragen bei Betroffenen und Ärzten, die den Fragebogen bereits gesehen haben, ergaben von beiden Gruppen eine fast einhellige Ablehnung. Die Wissenschaftler des RKI beschreiben, dass das Ausfüllen des Fragebogens ca. 2 Stunden in Anspruch nimmt. Welcher Arzt kann und wird es sich leisten, sich mit –zig Patienten jeweils 2 Stunden hinzusetzen und die Fragen zu beantworten? Wie und über wen soll und kann er dies abrechnen? Welchen objektiven Wert hat der Fragebogen, wenn ihn der Patient allein ausfüllt? In welcher Form soll und kann dieser Basisfragebogen mit dem Akutbefundbogen abgeglichen werden?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich nur wenige Menschen nach einem bergbaubedingten Beben in medizinische Behandlung begeben. Manche schämen sich, sie haben Angst, als Weichei oder Sensibelchen verlacht zu werden. Sie versprechen sich in ihrem Zustand keine wirksame Hilfe durch den Arzt. Wenn diese Menschen jetzt noch erfahren, dass sie einen 25-seitigen Fragebogen ausfüllen sollen mit Fragen, bei denen man einen Zusammenhang mit der gesundheitlichen Belastung durch bergbaubedingte Beben nicht erkennen kann, so wird sie das noch weiter demotivieren und abschrecken.

Der Landesverband als Sprachrohr der Bergbaubetroffenen hält es für sinnvoll, dass objektive medizinische Daten zur Belastung der Bevölkerung erhoben werden, um den Tatbestand des Gemeinschadens feststellen zu können. Er kann jedoch nicht erkennen, dass die geplante Studie des Gesundheitsministeriums in dieser Form dem Ziel, zeitnah objektive Daten, die vor Gericht Bestand haben, dient. Die hier vorgetragenen wissenschaftlichen und methodischen Mängel werden mit Sicherheit von den Juristen des Verwaltungsgerichts erkannt und gewertet werden. Eine wissenschaftlich Untersuchung muss vor Beginn einen präzisen Rahmen haben: Z. B. Festlegung des Untersuchungszeitraums, entweder bezogen auf einen Zeitrahmen oder die Anzahl von Beben einer bestimmten Stärke, Größe der Untersuchungsgruppe, das Procedere der Auswertung und der damit befassten Personen und die Gewährleistung der Anonymisierung, Festlegung einer Vergleichsgruppe. Kein einziger dieser Parameter ist erfüllt. Völlig unakzeptabel ist, dass eine Behörde solche persönlichen Intimdaten unanonymisiert erhält!

Bei aller Problematik im Hinblick auf die Zeitnähe der Erfassung der Akutdaten wäre dem Anspruch des Ministeriums eher Genüge getan gewesen, wenn man als Basisdaten Blutdruck und Pulsfrequenz im Normal- also Ruhezustand erfasst hätte und diese mit den Akutdaten im Erregungszustand nach einem Beben verglichen hätte. Der Minister suchte das Gespräch mit den Bergbaubetroffenen erst zu einem Zeitpunkt, als der Informationsaustausch für das Vorgehen nicht mehr ergebnisoffen war. Ein Schelm, wer dahinter Methode vermutet!